Übernahme von Tierkliniken von ausländ. Konzernen

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Greyhound-Forum
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Registriert: Mi 12. Jan 2011, 06:44

Übernahme von Tierkliniken von ausländ. Konzernen

Beitrag von Greyhound-Forum »

Wir bleiben hier in der Region im Epizentrum der Ankaufsaktivitäten der schwedischen Tierklinik-Ketten Anicura und Evidensia. Gestern habe ich auf einer Fortbildung erfahren, dass eine meiner bevorzugten Überweisungskliniken, die "Kleintierspezialisten Augsburg" der Kollegen Unger, Schwedes und Bentele, jetzt auch von der Anicura Group übernommen worden ist.

Damit sind nach meiner Einschätzung in einem Umkreis von etwa 80 Kilometern um Ulm alle Kliniken mit einem Jahresumsatz über 1,5 Millionen Euro in der Hand von Anicura oder Evidensia. Für einen Haustierarzt wie mich, der dieser Entwicklung eher kritisch gegenüber steht, ist es faktisch unmöglich geworden, im Alltagsbetrieb NICHT an eine der Kettenkliniken zu überweisen.

Für kurze Zeit werden Sie als Tierbesitzer noch keine großen Veränderungen bemerken. Die Ketten verpflichten die bisherigen Inhaber zur Weiterarbeit als Geschäftsführer für einen Zeitraum von 5 Jahren. Trotzdem: Ab dem Moment des Aufkaufs gehen alle Kennzahlen solcher Kliniken an die Zentralen der Ketten. Dort werden sie von Controllern unter die Lupe genommen und mit den Zahlen anderer Kliniken verglichen. Und dann beginnt der Einfluss der Betriebswirtschaftler auf das Verhalten der Tiermediziner, wie wir das schon aus der Humanmedizin kennen. Da kann (jetzt mal nur als Beispiel) einer Klinik durchaus glasklar vorgerechnet werden, dass sie im Vergleich zu einer anderen Einrichtung gleicher Größe zu wenige CTs oder MRTs macht. Die Folge? Ist ja klar: Es werden auf Teufel komm raus mehr CTs und MRTs gemacht, ob es die nun braucht oder nicht. Sehr problematisch! Was will man als Tierbesitzer und medizinischer Laie schon dagegen machen? Oder als angestellter Tierarzt, dem sein Job lieb ist?

Und das ist erst der Anfang. In zwei bis drei Jahren werden die mächtigen Ketten (von denen noch einige mehr in den Startlöchern stehen) den deutschen Tierklinik-Markt zu einem großen Teil unter Kontrolle haben.

Was wollen die Ketten jetzt plötzlich hier in Deutschland? Die Antwort auf diese Frage ist für Sie als Tierbesitzer mehr als unangenehm. Deutschland wird einerseits als der größte tiermedizinische Markt Europas gesehen, aber in Sachen Tierarztkosten gleichzeitig als besseres Entwicklungsland mit gewaltigem Steigerungspotential. Wie ich schon mehrfach erwähnt habe, kosten tiermedizinische Leistungen im United Kingdom und in den skandinavischen Ländern mindestens das Doppelte, wenn nicht sogar das Drei- bis Vierfache wie in Deutschland. Nur als Beispiel: Wenn ich bei Ihrem Hund zu nächtlicher Stunde notfallmäßig eine Magendrehung operiere, kann Sie das je nach Größe des Tieres und Lage des Falles irgendwas im Bereich von 1000 – 1500 Euro kosten. In einer schwedischen Anicura-Klinik wären dafür aber unter Umständen über 4000 Euro fällig.

Die Strategie der Ketten liegt also auf der Hand: Erst werden die sehr großen und meist Maximalversorgung anbietenden Kliniken als Dreh- und Angelpunkte (sogenannte Hubs) aufgekauft. In einer zweiten Angriffswelle werden um die Hubs herum kleinere, aber strategisch gelegene und umsatzstarke Praxen und (Klein-)Kliniken als Satelliten erworben. Damit wäre der Markt weitgehend unter Kontrolle und es gäbe für Sie als Tierbesitzer nicht mehr viele Möglichkeiten zum Ausweichen. Und damit sind die Ketten dann in der Position, die Preise diktieren zu können, und zwar koordiniert und auf breiter Front. Da kann man nur noch den Rat geben, speziell bei Jungtieren frühzeitig über eine Tierkrankenversicherung nachzudenken, denn mittelfristig sehe ich skandinavische und britische Preise auf uns zukommen.

Ich kann Sie noch nicht mal damit beruhigen, dass diese Entwicklung noch lange brauchen würde. Die Anicura-Group und Evidensia haben den schwedischen Markt innerhalb von zwei Jahren komplett unter Kontrolle gebracht. Hinter den Ketten stecken Großinvestoren. Dementsprechend sind sie mit Hunderten von Millionen Euro an Kapital ausgestattet und in der Lage, den bisherigen Klinik- und Praxisbesitzern Angebote zu machen, die man nur schwer ablehnen kann. Wenn man sieht, wie viele Klinik-Schwergewichte in den letzten Monaten aufgekauft worden sind, wird einem sonnenklar, dass es sich dabei nicht um eine schleichende Entwicklung, sondern eher um einen Überfall mit schwindelerregender Geschwindigkeit handelt. Wir werden weiter berichten.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert
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Nur wer einmal seinen Windhund jagen gesehen hat, der weiß, was er an der Leine hat!
Michaela
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