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Frühkastration: Skalpell sollte immer nur Ultima Ratio darst

Verfasst: Di 26. Mär 2013, 01:38
von Chrisi3506
Frühkastration: Skalpell sollte immer nur Ultima Ratio darstellen

KURT KOTRSCHAL (Die Presse)

Eine US-Untersuchung zeigt, dass Frühkastrieren von Hunden eine Vielzahl an gesundheitlichen Problemen nach sich ziehen kann.

Einen krummen Hund und Feind der Tierärzte hat man mich gescholten, als ich vor einigen Monaten das Frühkastrieren von Hunden zur Diskussion stellte und auch einen Zusammenhang zur ökonomischen Situation insbesondere mancher junger Veterinäre herstellte. Wohl wissend, dass die allermeisten Tierärzte auf fachlich und ethisch höchstem Niveau arbeiten.

Frühkastration bedeutet die Entfernung einer entwicklungswichtigen Hormonquelle, bevor Körper und Verhalten ausgereift sind. Als Vorsitzender des Eurasier-Clubs, dem von Junghundehaltern immer wieder von kastrationsfreudiger Veterinärberatung berichtet wird, wusste ich, wovon ich schrieb. Das vorbeugende Entfernen der primären Geschlechtsorgane schwappte als Mode aus den USA nach Europa; dort wird der Großteil der Hunde kastriert, bevor sie ein Jahr alt sind. Was auch Kollegen in Übersee sauer aufgestoßen ist, etwa dem Veterinär Ben Hart.

Mit seinem Team durchforstete er daher einen Datensatz von 759 Retriever-Hunden und bestätigte, dass Frühkastrieren nicht nur nicht vor Krebs schützt, sondern einen Rattenschwanz von Gesundheitsproblemen nach sich ziehen kann. Damit stach er in ein Wespennest. Aus seinem ursprünglichen Plan, die Ergebnisse in hochklassigen Veterinär-Journalen zu publizieren, wurde nichts. Unter fadenscheinigen Begründungen wurde das Manuskript abgeschmettert. Herausgeber meinten etwa, dass dies für die veterinärmedizinische Praxis nicht von Relevanz sei.

So landeten die Ergebnisse schließlich gottlob in der Online- Fachzeitschrift „PLoS ONE“. Die Erkenntnisse von Ben Hart werden damit weite Beachtung finden, was sie fürwahr verdienen. Denn es zeigte sich, dass doppelt so viele der frühkastrierten Rüden unter Hüftgelenksdysplasie litten als intakte Rüden (zehn vs. fünf Prozent). Im Gegensatz zum Fehlen der kranialen Kreuzbandzerrung bei intakten Hündinnen und Rüden, zeigten acht der frühkastrierten Hündinnen und fünf Prozent der frühkastrierten Rüden dieses Problem. Letztere entwickelten auch dreimal häufiger (zehn Prozent) Lymphdrüsenkrebs.

Mastzellenkrebs trat bei intakten Hündinnen nicht auf, betraf aber sechs Prozent jener Hündinnen, die nach Vollenden ihres ersten Lebensjahrs kastriert wurden. Und HSA, ein bestimmter Blut-(gefäß)krebs, trat bei diesen Hündinnen viermal häufiger auf (acht Prozent) als bei intakten oder frühkastrierten. Fazit: Frühkastration schädigt die Gesundheit, und auch die spätere Kastration ist insbesondere im weiblichen Geschlecht problematisch.

Es bleibt dabei: Tierkumpane mit dem Skalpell sozial kompatibel machen zu wollen, ist nicht nur ethisch, sondern auch gesundheitlich problematisch. Es gilt im Umgang mit Tierärzten jenes Prinzip, welches mündige Patienten auch im Umgang mit den eigenen Ärzten pflegen: schlaumachen, fragen, eine zweite Meinung einholen und erst dann in Ruhe entscheiden. Tier- und Menschenärzte sind hoch spezialisierte Berater; Entscheidungen aber sind in der Regel vom betroffenen Menschen selbst, für sich oder für den Tierpartner zu treffen. Als zweite Regel sollte man internalisieren, dass das Skalpell immer nur Ultima Ratio darstellen kann. Denn seine Nebenwirkungen stehen selten im Beipackzettel jener Chirurgen, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2013)

http://diepresse.com/home/meinung/wissk ... 1481237582

Re: Frühkastration: Skalpell sollte immer nur Ultima Ratio d

Verfasst: Di 26. Mär 2013, 07:36
von Greyhound-Forum
Chrisi3506 hat geschrieben:Frühkastration bedeutet die Entfernung einer entwicklungswichtigen Hormonquelle, bevor Körper und Verhalten ausgereift sind.
Chrisi3506 hat geschrieben:Es bleibt dabei: Tierkumpane mit dem Skalpell sozial kompatibel machen zu wollen, ist nicht nur ethisch, sondern auch gesundheitlich problematisch
Wow !!

Super und völlig klar, dass es abgeschmettert wurde in der Zeitschrift! Immerhin würde eine ziemlich gute Einnahmequelle entfallen, wenn sich darüber mehr Leute Gedanken machen würden.

Re: Frühkastration: Skalpell sollte immer nur Ultima Ratio d

Verfasst: Di 26. Mär 2013, 07:53
von wuhei
Guten Morgen,
genau das haben früher ein paar wirklich gute Züchter ohne viel wissenschaftliche Untersuchungen, sondern durch Überlieferung jahrzehntelanger Erfahrungen und Erkenntnisse schon gewußt. Zum Glück konnte ich - unter vielem anderen - auch das von meinem Mentor Kurt Kleinheinz lernen. Danke Kurt!

Re: Frühkastration: Skalpell sollte immer nur Ultima Ratio d

Verfasst: Di 26. Mär 2013, 09:44
von Caricia
Finde es super, dass es da nun eine Studie zu gibt, denn manche Menschen brauchen erst Studien um etwas, was auf der Hand liegt (liegen sollte), zu glauben :)

Habs gleich erstmal bei FB geteilt.

Re: Frühkastration: Skalpell sollte immer nur Ultima Ratio d

Verfasst: Di 26. Mär 2013, 10:53
von taikoussou
Caricia hat geschrieben:Finde es super, dass es da nun eine Studie zu gibt, denn manche Menschen brauchen erst Studien um etwas, was auf der Hand liegt (liegen sollte), zu glauben :)

Habs gleich erstmal bei FB geteilt.
Naja, aber wem diese Studie nicht passt, der kramt dann auch mal locker vollkommen überholte Studien von anno tuc hervor, als man noch glaubte, dass Kastrationen ausschließlich Vorteile haben. Es gibt viel zu viele beratungsresistente Menschen, und davon bewegen sich leider auch erschreckend viele im Tierschutz.

Re: Frühkastration: Skalpell sollte immer nur Ultima Ratio d

Verfasst: Di 26. Mär 2013, 13:29
von Maru
Das wäre dann übrigens die in dem Text erwähnte Studie
http://www.plosone.org/article/info%3Ad ... ne.0055937

Von Statistik und dem Aufbau solcher Studien damit sie nachher aus wissenschaftlich relevant sind hab ich wenig Ahnung, da müsste sich vielleicht jemand zu äußern der davon mehr versteht. Intressant finde ich es allemal.

Interessant wäre auch die gleiche Untersuchung nochmal mit Greyhounds statt mit Goldens. Da würden mich besonders die Effekte auf die Häufigkeit von Osteosarkomen und von Schilddrüsenunterfunktion intresssieren.
Das sind ja nun zwei Sachen, die bei Greys sehr häufig vorkommen. Bei Osteosarkomen gibt es wohl bei Rottweilern Studien die darauf hindeuten, dass kastrierte Hunde ein höheres Risiko haben und bei Schilddrüsenunterfunktion ist ebenfalls bekannt, dass Kastraten häufiger betroffen sind.

Re: Frühkastration: Skalpell sollte immer nur Ultima Ratio d

Verfasst: Di 26. Mär 2013, 13:53
von Greyhound-Forum
Schilddrüsenunterfunktion:

Leider ja - mein Galgo Rüde wurde mit knapp 2 Jahren kastriert und fing drauf an, aggressiv und Verhaltensauffällig zu werden.
Da er ein Bombenfell hatte, nicht müde, trübsinnig etc. war hat man nie auf Schilddrüse getippt sondern auf "falsche Haltung" - Unausgelastet etc.
Nach 2 Jahren Ursachenforschung sind wir auf die Unterfunktion gestoßen und seit 4 Jahren wird er jetzt behandelt!

Hinterher hat mir eine Tierärztin auch bestätigt, dass die Kastration die "mögliche Tendenz" zur Schilddrüsenunterfunktion beeinflusst und diese frühzeitig ausgelöst hat.

Re: Frühkastration: Skalpell sollte immer nur Ultima Ratio d

Verfasst: Di 26. Mär 2013, 16:17
von Savannah
Ich arbeite ja schon länger mit den sog. "roten Pfoten" zusammen, die sich mit Krebs bei Hunden beschäftigen. Es besteht definitiv ein Zusammenhang zwischen Kastration und Schilddrüsenunterfunktion, sowie der Häufigkeit von Osteosarkomen bei Greyhounds. NOCH ist es nicht zweifelsfrei wissenschaftlich belegt, aber wir haben schon ein nettes "Zahlenmaterial" gesammelt, das in diese Richtung deutet (und für mich ist es schon "klar" :-) aber die Wissenschaft will da etwas mehr als "mein" Bauchgefühl *lol*! )

Re: Frühkastration: Skalpell sollte immer nur Ultima Ratio d

Verfasst: Di 26. Mär 2013, 20:00
von Greyhound-Forum
"danke5"

lange wurde mir der Vogel gezeigt, als ich sagte, es fing nach der Kastration an. Davor war er der brävste, liebste (bis auf das Schadnagersyndrom als Galgo Welpe) Hund !!!
Er hat sich um 180Grad gedreht und ist heute nur noch ein Stinkstiefel :-/