*Kognitive Dysfunktionssyndrom

rund um die Versorgung bei einer Erkrankung
Gesperrt
Benutzeravatar
Greyhound-Forum
Administrator
Beiträge: 14872
Registriert: Mi 12. Jan 2011, 06:44

*Kognitive Dysfunktionssyndrom

Beitrag von Greyhound-Forum »

Aus dem FFF Newsletter
"Honig im Kopf"
das kognitive Dysfunktionssyndrom beim Hund (auch CDS)

Eines Tages kam ich wie gewohnt von der Arbeit nach Hause, wie immer kamen mir 3 meiner Hunde freudig entgegen, nur an diesem Tag fehlte meine Nummer 1.
Unsere alte Hündin Lillebror ist normalerweise die erste an der Tür und wedelt freundlich zur Begrüßung.
Als ich sie auf ihrem Platz entdeckte und sie ansprach, sah sie mich irritiert an. Naja sie ist alt und auch ihr Gehör ist nicht mehr das jüngste und so machte ich mir keine weiteren Gedanken.
Doch in den darauf folgenden Wochen verhielt sie sich auch anders als gewohnt.
Sie lief oft herum, wirkte unbeteiligt, machte nachts auch mal ins Haus.
Ihre gereizte Art fiel extrem auf und beim täglichen Gassigehen kam es mir vor als wäre Leinenführigkeit plötzlich ein Fremdwort für sie.
Da sie oft wirr herumlief und hechelte, trank sie auch viel und dementsprechend oft musste sie nach draussen.

Ich wollte es nicht unter „Sie wird eben alt“ abhaken und stellte sie nochmal auf den Kopf. Blutwerte ok, Herz ok, ihr bekanntes Lungenproblem sowie die orthopädischen Wehwehchen waren auch unverändert und somit musste an der bestehenden Medikation nichts angepasst werden.
Ich besprach alle Befunde mit meiner Chefin und in diesem Gespräch fiel das erste Mal die Diagnose „kognitive Dysfunktion“ (CDS).

Mein Hund, der mich seit 13 Jahren begleitet hat und der Fels in meinem Rudel ist, ist dement. Lilli hat Honig im Kopf!

Seit diesem Tag beschäftige ich mich näher mit Demenz bei Hunden.

Medizinisch ist es recht simpel erklärt. Demenz unterscheidet sich von „normalen“ Alterserscheinungen. Sie beruht auf dem langsamen Absterben von Nervenzellen. Vor allem jenen, die für Orientierung, Lernen, Gedächtnis und Bewusstsein zuständig sind. Auffallend sind dabei Verhaltensänderungen des Hundes. Betroffene Hunde können ängstlich oder aggressiv werden, sich im gewohnten Umfeld nicht mehr zurecht finden, Futter- und Wassernapf nicht mehr finden, vergessen, wozu ein Knochen gut ist, vertraute Personen als fremd empfinden und sie verbellen und vieles weitere.
CDS ist ein Monster mit vielen Köpfen! CDS bricht bei Hunden erst im letzten Lebensdrittel aus und zählt damit zu den geriatrischen Erkrankungen. Noch gibt es keinen Nachweis darüber, dass Ernährung, Haltungsform, Rasse oder andere Faktoren irgendeine Rolle bei der Neigung zu CDS und dem Zeitpunkt des Ausbruchs spielen. Wir sollten unsere Senioren einfach gut beobachten. Es ist leichter, den besonderen Bedürfnissen betroffener Tiere gerecht zu werden, wenn die fortschreitende CDS rechtzeitig erkannt wird.
Die Diagnose von CDS ist schwierig und eher eine Ausschlussdiagnostik. Es gibt aber 5 Hauptsymptome:

Desorientiertheit
Die Desorientiertheit kann sich darin äußern, dass der betroffene Hund manchmal ziellos umherwandert, ins Leere starrt, bekannte Personen nicht mehr erkennt oder hinter Möbeln sowie in Ecken regelrecht „stecken bleibt“ und nicht mehr zurückfindet. Des Weiteren kann es dazu kommen, dass der Hund auf der falschen Seite der Tür oder an der falschen Tür darauf wartet, herausgelassen zu werden, draußen den Anschein erweckt, dass er „vergessen“ hat, weshalb er hinausgehen wollte oder insgesamt einen verwirrten Eindruck macht. Zusätzlich zeigen betroffene Hunde manchmal auch die Unfähigkeit, Hindernisse zu überwinden oder eine mangelnde Reaktion auf das Rufen des Namens oder auf bekannte Kommandos.
Veränderte Interaktionen
Ein vermindertes Verlangen nach Zuwendung und Streicheln sowie ein reduziertes Interesse an Spielzeugen und interaktiven Spielen sind typische Anzeichen dieses Symptomenkomplexes. Erkrankte Hunde entziehen sich auch oft dem Streicheln und begrüßen ihre Besitzer oder bekannte Hunde weniger enthusiastisch als früher oder reagieren gar nicht auf die Ankunft oder Anwesenheit der Besitzer.
In Einzelfällen sind Hunde plötzlichen Stimmungsschwankungen unterworfen und insgesamt leichter reizbar (CAVE bei Kindern).

Veränderter Schlaf-Wach-Rhythmus
Betroffene Hunde schlafen meist mehr innerhalb von 24 Stunden, wobei aber der Nachtschlaf reduziert ist. Vor allem bei Dämmerung oder Dunkelheit sind die Hunde rastlos und wandern oft hechelnd oder winselnd auf und ab.
Der Schlafrhythmus ist unregelmäßig und es kommt zum Wechsel zwischen Insomnie und Hypersomnie.

Stubenunreinheit
Es kann passieren, dass erkrankte Hunde, die vorher stubenrein waren, plötzlich wieder im Haus unsauber sind, evtl. auch unmittelbar nach einem Spaziergang. Manchmal signalisieren erkrankte Hunde seltener oder nicht mehr, dass sie hinausmüssen.

Veränderte Aktivität
Die veränderte Aktivität betroffener Hunde äußert sich vor allem durch zielloses Umherwandern (v.a. stereotypes Auf- und Ablaufen) bzw. ein Abnehmen zielgerichteter Aktivitäten. Sie zeigen dabei auch meist weniger Interesse an ihrer Umgebung und Reaktionen auf bekannte Stimuli.

Es gibt diverse Ansätze, um den Hunden und auch uns das Leben mit CDS zu erleichtern.
Natürlich hat die Futtermittelindustrie auch zu dieser Krankheit ein passendes Futter in der Schublade. Die Firma Hills entwickelte hierfür B/D (brain disease). Aber allgemein ist zu sagen, dass nichts gegen eine altersgerechte Ernährung spricht, der man gewisse Sachen einfach zusetzt.
Bei CDS haben sich die Zugabe von Coenzym Q10 und L-Carnitin positiv ausgewirkt und prinzipiell Futter, das reich an Antioxidantien und Mitochondrienfaktoren ist.
Ich füttere mal Makrele/Sardinen, anderes Frischfleisch, Spinat, Weizenkeime, Hüttenkäse, Quark und (da mir Hummer zu teuer ist :-) ) auch mal Rinderhack. Lilli verträgt das alles und es sind immer kleine Mengen, die ich ihrem TROFU beimische.
Es wurden aber auch medizinische Hilfsmittel entwickelt. Das Thundershirt zum Beispiel ist von der Ideologie her eine Mischung aus Puken (wie man es bei Babys macht) und Akkupressur. Es soll Sicherheit und Gelassenheit erzeugen. Ich habe es bei Lilli versucht und letztendlich festgestellt, dass ein freiheitsliebender Husky-Mix NICHT gepukt werden möchte. Aber ich kann es mir für Galgos durchaus vorstellen.
Natürlich hat die Pharmaindustrie jede Menge Mittelchen in ihrem Kasten, die u.a. bei seniler Bettflucht angewendet werden können.
Die Bandbreite reicht von homöopathischen Ansätzen (z.B. Neurexan) über durchblutungsfördernde Mittel (wie z.B. Karsivan) bis hin zu Psychopharmaka (Alprazolam etc.). Es gibt auch Medikamente basierend auf natürlichen Botenstoffen, Zylkene und Adaptil, die den wirren alten Geist etwas gelassener machen können. Hier würde ich mich immer von meinem Tierarzt beraten lassen und nicht übertreiben :-).
Prinzipiell sind ein stabiler Tagesrhythmus, ein bisschen Arbeit für die grauen Zellen und ab und an etwas Humor das beste Rüstzeug. Dennoch ist eine starke Einschränkung im täglichen Leben einfach normal mit einem Hund, der an CDS erkrankt, da er irgendwann auch nicht mehr allein gelassen werden kann. Von diesem Punkt sind Lilli und ich noch (hoffentlich) weit entfernt. Aber ich weiß natürlich, dass sie im Endstadium der Erkrankung zum vollständigen Pflegefall werden wird und eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung auf mich zu kommt.
Unweigerlich schießt mir dann der Gedanke in den Kopf, wann es denn genug ist und eine Euthanasie der richtigere Weg. Es liegt in meiner Verantwortung es zu entscheiden, wann bei meinem demenzerkrankten Hund der Zeitpunkt gekommen ist und ich bete (tue ich fast nie), dass sie mir diese Entscheidung abnimmt. Aber bis dieser Tag uns tückisch einholen wird, versuchen wir unser Leben zu genießen.
Ich integriere sie wo auch immer es geht und soweit es für Lilli eine Bereicherung ist. Überall muss sie nicht mit hin, muss aber auch nicht ständig zuhause bleiben.

Wir haben da mittlerweile ein gutes Gespür füreinander entwickelt.
Sie war 13 Jahre lang ein toller Hund und frei nach dem Motto „Je oller, je doller“ ist sie jetzt eben noch toller. Es ist nun meine Aufgabe und meine Pflicht für sie da zu sein, solange ihr Leben noch lebenswert ist. Und wenn ich ganz ehrlich bin, dann liebe ich Lilli ganz besonders, wenn sie sich verwirrt durch einen Laubhaufen kämpft und mich mit einem Herbstblatt auf der Nase mürrisch ansieht!

„Wie ich dich seh ist für dich unbegreiflich,
komm ich zeig's dir.
Ich lass Konfetti für dich regnen
Ich schütt dich damit zu,
Ruf deinen Namen aus allen Boxen,
Der beste Hund bist du!“
Aus dem Lied „Chöre“ von Mark Foster (leicht verändert :-))

Danke an Julia Röll für diesen Bericht


Bild
Nur wer einmal seinen Windhund jagen gesehen hat, der weiß, was er an der Leine hat!
Michaela
Gesperrt

Zurück zu „Krankheiten und erste Hilfe“